Verteidigungspolitik steht seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Einen neuen Schub hat diese Debatte durch die Wiederwahl von US-Präsident Trump bekommen und die Unklarheit, wie sehr sich Europa noch auf den US-Beistand in der NATO verlassen können. Auch wir Jusos haben die Diskussion darüber, welche Folgen der russische Angriffskrieg für uns hat, ernsthaft geführt. Wir haben immer wieder Positionen hinterfragt und neue entwickelt. Ein Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist der Beschluss zur Zeitenwende vom Bundeskongress 2022, in dem wir eine differenzierte, jungsozialistische Antwort auf die Kriegsgefahr in Europa geben, ohne Außen- und Sicherheitspolitik einseitig auf das Militär zu reduzieren. Wir leugnen nicht die Gefahr, die vom russischen Imperialismus ausgeht. Als Jusos Bezirk Hannover setzen wir uns mit dieser Gefahr schon sehr lange auseinander und sind davon überzeugt, dass Antimilitarismus und die Verteidigung gegen den russischen Imperialismus nicht im Widerspruch zueinanderstehen. Dennoch muss jede verteidigungspolitische Maßnahme kritisch darauf geprüft werden, ob sie verhältnismäßig und zielführend ist. Das betrifft in einem besonderen Maße den Vorschlag, die Wehrpflicht wieder einzuführen.

Die Rückkehr-zur-Wehrpflicht-Debatte

2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt – aus guten Gründen. In der Bundeswehr wurden Spezialist*innen für Auslandseinsätze benötigt, die Wehrgerechtigkeit beim Einzug der Jahrgänge war kaum noch gegeben und die Strukturen kosteten enorm viel Geld. Deutschland war damit Schlusslicht einer europäischen Entwicklung. Die meisten anderen europäischen Staaten hatten die Wehrpflicht bereits vorher abgeschafft. Jetzt, 14 Jahre später, diskutiert die deutsche Politik sehr konkret über die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Zwar hat schwarz-rote Koalition vereinbart, bei der Gestaltung des neuen Wehrdiensts auf Freiwilligkeit zu setzen, aber damit geben sich die Union und leider auch Teile der SPD nicht zufrieden. Boris Pistorius hat für ein Modell geworben, das junge Männer dazu verpflichtet, einen Fragebogen der Bundeswehr auszufüllen, die Musterung und den möglichen Wehrdienst aber vorerst freiwillig belässt. Der Bundesverteidigungsminister will jedoch im selben Gesetz bereits einen Mechanismus verankern, wie die Wehrpflicht kurzfristig wieder aktiviert werden kann. Die Argumentation dahinter: Falls sich die Bedrohungslage deutlich verschärft und die freiwillige Beteiligung nicht ausreicht, müsste man ohne neues Gesetzgebungsverfahren in kürzester Zeit zur Pflicht zurückkehren. Das Wehrdienstgesetz, dass das Bundesverteidigungsministerium vorgelegt hat, sieht deshalb vor, dass Bundesregierung und Bundestag mit einfacher Mehrheit die Verpflichtung zum Wehrdienst aktivieren können.

Dieser Entwurf widerspricht eindeutig der Beschlusslage der SPD. Nur wenige Wochen, bevor der Gesetzesentwurf bekannt wurde, gab es nämlich einen Kompromiss beim Ordentlichen Bundesparteitag der SPD. Die Jusos und die Parteispitze einigten sich darauf, dass es zwar einen verpflichtenden Fragebogen nach dem schwedischen Modell geben dürfe, aber keinen gesetzlichen aktivierbaren Mechanismus zur Wehrpflicht. Erst müssten alle freiwilligen Maßnahmen ausgeschöpft werden. Sprich: Wehrpflicht nur mit einem neuen Gesetz.

Für die Bündnisverteidigung braucht es Profis, keine Wehrpflichtigen

Wir Jusos pochen deshalb vehement darauf, dass die Beschlusslage der SPD eingehalten wird und haben dabei sogar den Koalitionsvertrag auf unserer Seite. Doch es gibt auch inhaltliche Argumente gegen diese versteckte Wehrpflicht: Wenn alle freiwilligen Maßnahmen versagen, ist der Bundestag durchaus in der Lage, schnell Gesetze zu verabschieden. Man denke nur an die Grundgesetzänderung zur Lockerung der Schuldenbremse, die Schwarz-Rot noch in einer Sondersitzung des alten Bundestags, keine zwei Wochen nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrag durchgepeitscht hat. Wenn die Wehrpflicht zur Abwehr einer konkreten Bedrohung tatsächlich unumgänglich sein sollte, kann der Gesetzgeber sie schnell aktivieren. Aber bis dahin sollten wir das tun, was der SPD-Beschluss vorsieht, nämlich alle freiwilligen Möglichkeiten ausschöpfen. Ein enormes Problem ist, dass viele freiwillig Wehrdienstleistende den Wehrdienst nach kurzer Zeit wieder abbrechen. Dabei spielen schlechte Ausrüstung, marode Gebäude und abschreckende Umgangsform eine große Rolle. Diese Probleme anzugehen würde nicht nur dabei helfen, Freiwillige für die Grundausbildung zu gewinnen, sondern auch Personen, die längerfristig beruflich bei der Bundeswehr bleiben wollen. Und diese Personen braucht die Bundeswehr dringend. Damit die europäische Säule der NATO sich gegen einen konventionellen russischen Angriff verteidigen kann, braucht es nicht Massen an Wehrpflichtigen in jedem europäischen Land, sondern es braucht gut ausgestattete und gut ausgebildete hauptberufliche Soldat*innen, die im Bündnisfall schnell an die Ostflanke der NATO verlegt werden können. Im wirklichen Verteidigungsfall – also beispielsweise einem russischen Angriff auf die baltischen Staaten – bringen Wehrpflichtige nichts. Deshalb braucht es bessere Bedingungen, um Freiwillige zu gewinnen, über die Grundausbildung hinaus. Das freiwillige Potenzial wäre jedenfalls da: Laut einer Studie der Universität Hamburg haben fast 20 Prozent der unter 30-Jährigen Interesse an einer militärischen Ausbildung. Diese Zahl würde sogar weit über die Ausbildungskapazitäten hinausgehen, über die die Bundeswehr aktuell verfügt.

Konservative Ideologie: Zwangsarbeit für junge Menschen

Das gilt im Übrigen nicht nur für den Freiwilligen Wehrdienst, sondern auch für alle zivilen Freiwilligendienste. Ein Zusammenschluss vieler Freiwilligendienst-Träger hat mit dem Positionspapier Freiwilligendienste 2030 ein gutes Konzept vorgelegt, das den Spieß gewissermaßen umdreht. Statt die jungen Menschen zu verpflichten, wird der Staat verpflichtet - und zwar mit einem Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst. Dazu gehört dann auch eine entsprechende Aufwandsentschädigung, von der die Freiwilligen unabhängig von ihren Eltern leben können. Insbesondere von der Union wird die Wehrpflicht nicht nur aus Sicherheitsgründen gefördert, sondern als Ausdruck einer konservativen Ideologie: Junge Menschen haben zu dienen, bevor sie gleichberechtigter Teil der Gesellschaft sind. Da schwingt eine gute Prise preußischer Militarismus mit, das klingt nach Drill und Hierarchie. Ein solcher Pflichtdienst wird als Wundermittel gegen die gesellschaftliche Polarisierung angepriesen und gegen den Fachkräftemangel sowieso und betrachtet junge Menschen als reine Verfügungsmasse. Wir müssen das Kind beim Namen nennen: Menschen, egal wie alt sie sind, zu einem bestimmten Dienst zu zwingen, ist Zwangsarbeit. Zwangsarbeit ist verboten. Fachkräftemangel in der Pflege oder digitale Filterbubbles sind kein legitimes Argument, um Zwangsarbeit für junge Menschen einzuführen. Ganz abgesehen davon, dass die Dienstpflicht kein wirksames Instrument gegen diese Probleme wäre. Die Generationen, die noch den Wehr- oder Zivildienst leisten mussten, erweisen sich leider als keineswegs immun gegen gesellschaftliche Polarisierung, insbesondere mit Blick auf Rechtsextremismus. Und gegen den Fachkräftemangel in sozialen Berufen braucht es auch exakt das: Fachkräfte, keine 18- oder 19-Jährigen, die meist keine Qualifikation und im Zweifel auch keine Motivation für diese anspruchsvollen Tätigkeiten mitbringen. 

Wenn die Bundesregierung einen deutlichen Personalaufwuchs bei der Bundeswehr will und wenn sie will, dass sich noch mehr junge Menschen gesellschaftlich engagieren, dann sollte sie aufhören, sich ihren Verpflichtungsfantasien hinzugeben und stattdessen denjenigen, die sich einbringen wollen, auch die Möglichkeit dazu geben. Und die erste und einfachste Maßnahme gibt es auch ganz kostenlos: Nicht über die Betroffenen reden, sondern mit ihnen.